Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Ralf Konersmann

Ralf Konersmann

Professor em. für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?

Kann man sich wirklich an den Moment erinnern, als zum ersten Mal Außerordentliches nicht nur geschah, sondern auch bemerkt wurde und zu denken gab? An den Moment, als einen plötzlich der Gedanke anflog, dass die eben noch vertraute Welt ihre Geheimnisse hat? Im vermeintlich Normalen das Erstaunliche sehen – ich führe den Impuls auf die Märchen zurück, die ich hörte, bevor ich sie las, und auf die eine oder andere Geschichte aus der Bibel.

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?

Kein philosophischer Text, sondern ein Dilemma. Irgendwo am Lagerfeuer, wenn ich mich nicht irre, erzählt Sam Hawkens die Geschichte des Zimmermanns, der seinen vom steilen Kirchturmdach abgerutschten Sohn gerade noch hat packen können. Nun, da den Vater die Kräfte verlassen, steht er vor der Wahl, mit dem Sohn gemeinsam in die Tiefe zu stürzen oder die Hand, die er ergriffen hat, loszulassen. Ganz im Sinn dieser Erzählung habe ich die Philosophie nie lediglich als Bearbeitung von „Problemen“ verstanden. Die Philosophie ist keine Knobelei. Sie teilt die Nöte und Freuden der menschlichen Existenz.

Woran arbeiten Sie gerade?

Soeben habe ich ein Buch über die Figur des Außenseiters beendet, oder besser: Ich habe das Manuskript an den Verlag geschickt. Der Zeitpunkt, an dem ich mit dem Thema durch bin, dürfte jedoch auch diesmal in weiter Ferne liegen.

Was ist Ihr Lieblingszitat?

„Wie stets ist das Nicht zu einfach.“ (Roland Barthes)

Welchen Rat hätten Sie gern zu Beginn Ihrer Laufbahn erhalten?

Halte dich an die Primärtexte und sprich mit denen, die es ebenso machen. Alles andere, und vor allem das unselige „Einordnen“, kommt später.

Warum ist die Philosophie so kompliziert?

Sie ist es gar nicht. Sehr wohl aber ist sie häufiger mal kontraintuitiv.

Was ist die gesellschaftliche Rolle der Philosophie?

Es mit den Mythen ihrer Zeit aufzunehmen.

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit?

Weil auch die Bewohner des Elfenbeinturms der Öffentlichkeit etwas schuldig sind.

Ist die Philosophie eine Wissenschaft?

Eine Fangfrage. Jedenfalls ist die Philosophie keine Wissenschaft wie jede andere. Gewiss darf sie streng sein und sich methodisch disziplinieren – aber, und das unterscheidet sie dann doch, sie muss es nicht. Ihre traditionellen Ausdrucksgestalten sind unendlich reich, und dieser sprachliche und literarische Reichtum ist ein hohes Gut. Zugestanden sei, dass die Einförmigkeit der Darstellung, die der wissenschaftlich angezeigte Reduktionismus mit sich gebracht hat, Anschlüsse sichert und vieles vereinfacht. Die Philosophie darf jedoch andere Wege gehen, und ziemlich häufig muss sie es sogar.

Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben?

Die im Geist der elften Feuerbach-These entstandene Vorstellung, dass philosophische Einsichten sich geradewegs in politische Aktionen umsetzen lassen. Die allenthalben geforderte Politisierung zwingt zu falschen Rücksichten und schrecklichen Vereinfachungen. Eine nüchterne Zurkenntnisnahme der „These“ bestätigt, dass sich auch ihr Verfasser dieser Konsequenz bewusst war. Marx war kein Aktivist. Seine These impliziert ein Entweder-Oder, das besagt: Du musst dich entscheiden.

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