Was ich noch sagen woll­te

Phil­Pu­bli­ca stellt vor

Titelbild: Paula Keller

Paula Kel­ler

As­sistant Pro­fes­sor für po­li­ti­sche und So­zi­al­phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Ut­recht (ab Herbst 2025)

Was war Ihr ers­ter Kon­takt mit der Phi­lo­so­phie?

Manch­mal denke ich, der kommt erst noch. Ich habe je­den­falls noch nicht her­aus­ge­fun­den, was Phi­lo­so­phie ist.

Das muss man ja auch nicht wis­sen, um sich phi­lo­so­phi­sche Fra­gen zu stel­len.

Genau. Fra­gen, die gän­gi­ger­wei­se als phi­lo­so­phi­sche Fra­gen gel­ten, kamen eher zu­fäl­lig und ich ging sie ziem­lich selt­sam an: Ein­mal schien es mir zum Bei­spiel ir­gend­wie zum Teenager-​Seins zu ge­hö­ren, dass man frei und un­ab­hän­gig ist. Also schau­te ich in einem Le­xi­kon nach, was Frei­heit ist.

Woran ar­bei­ten Sie ge­ra­de?

An einer Reihe von Auf­sät­zen, die alle ver­su­chen, mit Mit­teln der ana­ly­ti­schen Phi­lo­so­phie etwas zu er­grün­den, das lange ein Thema der kon­ti­nen­ta­len Phi­lo­so­phie war: So­zi­al­kri­tik. Wie kann die Kri­tik der exis­tie­ren­den so­zia­len, po­li­ti­schen, und öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se funk­tio­nie­ren?

Was kann denn die Phi­lo­so­phie da zur Klä­rung bei­tra­gen?

Mich in­ter­es­sie­ren ins­be­son­de­re kon­kre­te Hilfs­mit­tel der Kri­tik: zum Bei­spiel Ge­nea­lo­gie oder Uto­pie. Wie kann aus der Ver­gan­gen­heit eine Kri­tik der Ge­gen­wart fol­gen? Das ist das Rät­sel der ge­nea­lo­gi­schen Me­tho­de, wie sie zum Bei­spiel Nietz­sche an­wen­det. Und was meint Uto­pie? Kann es die Uto­pie geben, kön­nen wir uns sie vor­stel­len, soll­te sich unser po­li­ti­sches Han­deln an ihr ori­en­tie­ren? Ein an­de­res Mit­tel der So­zi­al­kri­tik ist der Be­griff des Fort­schritts.

Sie haben kürz­lich eine Re­zen­si­on des neuen Buchs von Tho­mas Nagel zu mo­ra­li­schem Fort­schritt ver­öf­fent­licht. Laut Nagel be­steht mo­ra­li­scher Fort­schritt in der An­wen­dung von Grün­den. Sie fin­den das etwas ver­kürzt?

Ja, ich habe ver­sucht, einen Raum für Ge­füh­le in einer Theo­rie von mo­ra­li­schem Fort­schritt zu fin­den. Ich zi­tie­re da Marx. Er sagt, Skla­ve­rei sei ab­ge­schmackt – das ist eher ein Bauch­ge­fühl, ein ‘Bäh!’. Marx’ Ab­leh­nung ba­siert nicht auf einem Grund, den die Ver­nunft lie­fert, wie etwa die Gleich­heit aller Men­schen. Oder ein an­de­res Bei­spiel – ich habe es von Cora Dia­mond, die es wie­der­um Elizabeth An­s­com­be zu­schreibt: Wir be­gra­ben un­se­re Toten, statt sie auf die Stra­ße zu wer­fen, damit sie von der Müll­ab­fuhr ab­ge­holt wer­den. Auch hier ist es kein all­ge­mei­ner Grund­satz, der das ge­bie­tet, son­dern ein Un­be­ha­gen, das wir bei dem Ge­dan­ken an mensch­li­chen Müll ver­spü­ren. 

Die bei­den Bei­spie­le sol­len also mo­ra­li­schen Fort­schritt do­ku­men­tie­ren?

Die Bei­spie­le sind erst ein­mal Be­schrei­bun­gen von mo­ra­li­scher Mo­ti­va­ti­on – davon, was uns mo­ti­viert zu han­deln. Aber dann stellt sich die Frage nach dem mo­ra­li­schen Fort­schritt: Ist Han­deln nach einem Ge­fühl immer gut oder fort­schritt­lich, so wie für Nagel Han­deln nach einem mo­ra­li­schen Grund fort­schritt­lich ist? Es könn­te ja auch nie­de­re Ge­füh­le geben – Hass, Neid, Rach­sucht –, die unser Han­deln in die ganz fal­sche Rich­tung steu­ern. Man würde sagen: Da­nach zu han­deln ist doch nicht fort­schritt­lich!

Darum sagen ja viele Ethi­ker, dass Ge­füh­le ein schlech­ter Rat­ge­ber sind.

Ich weiß. Aber das geht mir zu schnell. Wenn ei­ni­ge Ge­füh­le schlech­te Rat­ge­ber sind, wie kann man eine Theo­rie mo­ra­li­schen Fort­schritts bauen, die Ge­füh­le trotz­dem ein­be­zieht? Braucht man am Ende doch Na­gels Up­graden von Ge­füh­len zu ver­nünf­ti­gen Grün­den? Oder kann man ir­gend­wie bes­se­re, rei­ne­re Ge­füh­le von häss­li­che­ren Ge­füh­len un­ter­schei­den, wobei nur die bes­se­ren Ge­füh­le mo­ra­li­schen Fort­schritt be­för­dern? Aber wie ginge diese Un­ter­schei­dung, ohne auf Grün­de zu re­kur­rie­ren? Das sind erst ein­mal eine Reihe von Fra­gen, die mich in­ter­es­sie­ren.

Wor­auf kommt es Ihrer An­sicht nach be­son­ders an, wenn man für die Öf­fent­lich­keit schreibt?

Auf etwas, auf dass es auch bei aka­de­mi­schen Tex­ten mehr an­kom­men soll­te: dass der*die Leser*in sich nicht dem Ende ent­ge­gen­sehnt.

Was stört Sie an der aka­de­mi­schen Phi­lo­so­phie?

Mir scheint, dass viel von dem, was ak­tu­ell ge­schrie­ben wird, wohl­eta­blier­te De­bat­ten zu re­la­tiv spe­zi­fi­schen Fra­gen in de­tail­ver­lieb­ten Schrit­ten wei­ter­führt. Man kann diese Gründ­lich­keit loben. Aber vie­les davon finde ich ziem­lich lang­wei­lig. Ich würde mir wün­schen, dass Phi­lo­so­phie wie­der mehr Mut hat, neue Fra­gen auf­zu­wer­fen.

A pro­pos De­tail­ver­liebt­heit: Warum ist Phi­lo­so­phie so kom­pli­ziert?

Ja, wie kann das sein, wo wir sie uns doch selbst aus­ge­dacht haben? Wir haben ja ty­pi­scher­wei­se noch nicht ein­mal Em­pi­rie, die alles kom­pli­ziert ma­chen könn­te. Ohne je­man­dem zu nahe tre­ten zu wol­len, denke ich aber, dass Phi­lo­so­phie eher dann kom­pli­ziert ist, wenn man sich auf einem Holz­weg be­fin­det. Gute Phi­lo­so­phie ist oft er­schre­ckend ein­fach.

Wel­chen Rat hät­ten Sie gern zu Be­ginn Ihrer Lauf­bahn er­hal­ten?

Ich hätte gern frü­her ge­wusst, dass man oft erst sehr viele, sehr kom­pli­zier­te Ent­wür­fe schrei­ben muss, um diese er­schre­ckend ein­fa­che Phi­lo­so­phie selbst zu pro­du­zie­ren.. Ab­kür­zun­gen gibt es da nicht, nur als Ab­kür­zung ge­tarn­te Not­aus­gän­ge.

Was spricht gegen Phi­lo­so­phen­kö­ni­ge?

Nicht nur alles, was gegen Kö­ni­ge spricht. Son­dern auch noch die Hy­bris des Phi­lo­so­phen zu den­ken, er könn­te es bes­ser als an­de­re. Da hatte Pla­ton schon recht: Ein Maler kann Lie­gen gut malen, sie aber nicht gut zim­mern.

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