Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Romy Jaster

Romy Jaster

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert? 

Der schmale Aufsatzband „Funktion, Begriff, Bedeutung“ von Gottlob Frege. Als Teenager habe ich meinem Deutsch- und Mathelehrer eine wahrscheinlich sehr verschwurbelte Frage zum Verhältnis von Sprache und Logik gestellt. Am nächsten Tag brachte er mir einen Stapel Bücher mit, von denen er mir das Frege-Bändchen schenkte. Ich las es, und obwohl ich nicht viel verstanden habe, hatte ich eine Art Erleuchtung: So klar und präzise wollte ich auch denken können. Damit war klar, dass ich analytische Philosophie studieren würde. Angesichts der großen Rolle, die die Philosophie seither in meinem Leben spielt, kann man sagen, dass Freges Texte im wahrsten Sinne des Wortes mein Leben verändert haben.

Woran arbeiten Sie gerade? 

Ich bin in zwei sehr unterschiedlichen Debatten unterwegs. Einerseits beschäftige mich mit Fragen rund um den Themenkomplex Fähigkeiten, Dispositionen, Willensfreiheit. Ich versuche, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen es richtig ist, Menschen die Fähigkeit zuzuschreiben, anders zu handeln oder zu entscheiden, als sie es tatsächlich tun. Interessant sind in diesem Zusammenhang Süchte und andere psychische Erkrankungen, aber auch die Frage, welchen Spielraum uns die Naturgesetze lassen. 
Mein zweites Forschungsthema sind Fragen der angewandten Erkenntnistheorie. Mich interessieren Phänomene, die zustande kommen, wenn Menschen sich in ihrer Urteilsbildung oder in ihren Behauptungen nicht an den gängigen Wahrheits- und Erkenntnisnormen orientieren. Fake News etwa, aber auch Verschwörungstheorien oder politischer Bullshit. In dem Zusammenhang interessiert mich auch, wie konstruktiver Diskurs dennoch gelingen kann. 

Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben? 

Eine Auffassung fällt mir nicht ein, weil ich auch gar nicht so viele feste Auffassungen habe. Aber ich wäre als Studentin in viele der Seminare, die ich heute anbiete, nicht gegangen. Mich hat früher nur die Theorie interessiert, je theoretischer, desto besser. Heute will ich immer auch wissen: Wie lässt sich die theoretische Philosophie nutzen, um gesellschaftlich relevante Problemstellungen besser zu begreifen? 

Welches Vorurteil gegenüber akademischen Philosophen ärgert Sie am meisten? 

Ich wünschte, es wäre Nicht-Philosophen klarer, dass akademische Philosoph:innen (mit betrüblichen Ausnahmen) nicht einfach so über irgendwelche Fragen nachdenken, sondern dabei einer ziemlich komplexen Methodik folgen, die man lernen kann – und lernen muss, um vom bloßen Nachdenken zum philosophischen Nachdenken zu gelangen. Ich würde auch gern mit der Erwartung aufräumen, die akademische Philosophie solle möglichst unerwartete Erkenntnisse zutage fördern. Die Stärken der Philosophie liegen im systematischen Erörtern, nicht im Aufstellen steiler Behauptungen. 

Was würden Sie gern besser können? 

Vieles, was assoziatives Denken und Fantasie erfordert. Ein Philosophenfreund und ich hatten angesichts unserer völlig verkümmerten assoziativen Fähigkeiten mal die waghalsige Idee, uns für einen Impro-Theaterworkshop anzumelden. Gut, dass es nie dazu gekommen ist. Ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass das ein traumatisches Erlebnis für mich geworden wäre. 
 

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