Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Hanno Sauer

Hanno Sauer

Professor für Philosophie an der Universität Utrecht

Welches Vorurteil gegenüber akademischen Philosoph:innen ärgert Sie am meisten?

Das Schauermärchen mit der Taxifahrer-Karriere. Das Gegenteil ist der Fall – Philosophen sind in der wirklichen Welt sehr respektiert und sehr zügig in Lohn und Brot. Das ist einfach Ahnungslosig- und Begriffsstutzigkeit: weil man nicht, anders als bei Ärzten oder Ingenieuren, sofort sieht, wofür es gut ist, denkt man, es sei für nichts gut. In Wirklichkeit sind die pragmatischen Fächer wie BWL usw. auf dem Arbeitsmarkt viel unbeliebter, weil den HR-Leuten beim Lesen der Lebensläufe schon die Augen zufallen. Man muss sowieso alles im Job selbst lernen, da ist es besser, ein Generalist zu sein, der sich jeder noch so unsinnig scheinenden Aufgabe mit Cleverness widmen kann, sprich: ein Philosoph.

Was ist Ihre Definition von Philosophie?

Definitionen versuche ich zu vermeiden, aber in unserem intellektuellem Leben gibt es unweigerlich einen Teil, den wir zwar ernst meinen – also mit Thesen und Theorien und Argumenten usw. bestreiten – der aber gleichzeitig noch keinen festen Methoden- und Wissensbestand hat, und diesen Bereich nennen wir eben „Philosophie“. Sie ist es deshalb notwendig immer etwas unseriös, aber das meine ich gar nicht als Kritik: Es geht gar nicht anders, und Entdecker wissen ja nie so ganz genau, wo die Reise hingeht und wie man sie macht (deshalb verirren sie sich oft und erfrieren auch manchmal).

Soll man glauben, was die Mehrheit glaubt?

Als ob es anders ginge: 99.99999% unseres Wissens und Könnens ist ja nur kumulatives kulturelles Kapital, das wir heruntergeladen haben, ohne den geringsten eigenen Beitrag. Kants Wahlspruch der Aufklärung muss wirklich der überschätzteste Satz der Philosophiegeschichte sein; na klar, jeder möchte ja lieber ein Badass-Selbstdenker sein als ein feiger kognitiver Mitläufer. In Wirklichkeit ist das kompetent-vigilante Mitläufertum das erstrebenswerte Ideal: Habe Mut, Dich des Verstandes Anderer zu bedienen!

Wie würden Ihre Kolleg:innen ihren Schreibstil beschreiben?

Ich höre eigentlich immer nur Lob, aber das heißt ja so gut wie nichts: Kaum jemand sagt einem ja ins Gesicht, dass er deine Schreibe mies findet. Ich selbst sage gerne „ironisch gestelzt“, damit wäre ich als Fremdbeschreibung sehr zufrieden. Aber ich habe schon viel gehört: schmissig, prätentiös, elegant, zu gewollt, zu kompliziert, zu salopp. „Brilliance signalling“ habe ich auch mal gehört, das tut weh, weil es wahr ist. Eigentlich ist es mir alles ganz Recht, die meisten Philosophen haben ja überhaupt keine persönliche Stimme.

Ist es für Ihr Denken wichtig, verschiedene Sprachen zu sprechen?

Absolut essentiell. Ich glaube es gibt überwältigende Gründe dafür, dass es in der Wissenschaft eine lingua franca geben muss. Welche dafür auserkoren wird, ist natürlich kontingent – ob Latein oder Englisch oder was auch immer -- aber das ist ja nebensächlich. Da ich als deutscher Muttersprachler nicht in die aktuelle lingua franca hineingeboren wurde, ist es für mich und mein Denken völlig entscheidend, auch noch Englisch zu sprechen. Argumente für den angeblichen Eigenwert lokaler Sprachen für das Philosophieren halte ich alle für total und offensichtlich unplausibel. Wenn wir alle eine Sprache sprächen, würden wir es dann für eine gute Idee halten, tausende verschiedene Sprachen zu kreieren, von denen keine besser ist als die andere, die es uns aber über Nacht radikal unmöglich machen würden, uns zu verständigen? Eine bizarre und inhumane Idee, dass das unterm Strich etwas Gutes sein sollte.

Wie halten Sie es mit der Religion?

Ich bin einer von diesen nervigen Hardcore-Atheisten, die Religion einfach für Aberglauben halten. Ich bin auch nicht vom Glauben abgefallen, sondern habe es noch nie plausibel finden können. Schon als Kind dachte ich, Religion sei doch eher was für Einfaltspinsel, selig sind die geistig Armen sozusagen. Gemischt mit ein bisschen Metaatheismus, also der Vermutung, dass niemand das Zeug wirklich glaubt. Normalerweise ist es ja inferentiell und pragmatisch folgenreicher, wenn jemand etwas glaubt: Man würde gern wissen wollen, wie das noch mal funktioniert haben soll mit dem Wasser und dem Wein. Und würde, wer wirklich an die Hölle glaubt, lügen und betrügen? Wer im Glauben Trost findet, sei mein Gast, aber man möge mich bitte damit in Ruhe lassen.

Was ist Ihr Lieblingszitat?

Ich mochte immer diesen Satz von Lichtenberg, dass Philosophieren ein bisschen wie Rasieren ist, denn wenn man es nicht gut könne, solle man es lieber nicht an der Kehle üben.

Ihr philosophisches guilty pleasure?

Schopenhauer, der beste deutsche philosophische Schriftsteller. Mit ihm halte ich es wie mit der Bibel – soll heißen, ich glaube ihm kein Wort. Aber schreiben kann er, vor allem seine Lästereien über Kollegen sind großartig, und auch viele seiner Miniaturen und Beobachtungen, so lange sie von seiner systematischen Philosophie unabhängig sind, die nämlich gar nichts taugt.

Mit welchem philosophischem Satz, den Sie einmal geschrieben haben, sind Sie besonders zufrieden?

Diesen Heidegger-Scherz finde ich nach wie vor sehr gelungen, daran erinnere ich mich gerne: „[I]t is true that many notable philosophers held deeply objectionable and indeed despicable views. To take just one notorious case: the German philosopher Martin Heidegger, for instance, rose to fame during the Weimar Republic and remained a lifelong supporter of the A-Deduction of the categories of pure reason – and he never recanted or apologized for it.“ Mein bei weitem erfolgreichster Satz ist aber „Wir sind nicht unterschiedlicher Meinung, wir hassen einander nur”, der scheint sehr memetisch zu sein.

Ihr Lebensmotto?

Lieber um Verzeihung bitten als um Erlaubnis fragen.

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