Was ich noch sagen wollte
PhilPublica stellt vor
Christine Abbt
Welchen gesellschaftlichen Beitrag leistet Philosophie?
Philosophie schärft im besten Fall all unsere Sinne für die Differenzen zwischen Wahrnehmen und Denken, zwischen schneller Reaktion und vertiefter Reflexion, zwischen Veränderlichem und Unveränderlichem, zwischen Möglichem und Unmöglichem. Sie fördert idealerweise eine fortlaufende Klärung allgemeiner Auffassungen, eine Differenzierung des Zugriffs und tiefe Skepsis gegenüber Machtballung. Philosophie verlangt Sorgfalt im Umgang mit Anderen und Neuem und im Sprachgebrauch. Sie strebt nach einem besseren Verständnis für die Zusammenhänge und Wechselwirkungen und beabsichtigt, das Bewusstsein für das Singuläre, für Verletzbarkeiten und Vergänglichkeit aufmerken zu lassen.
Das ist ein großer Katalog von anspruchsvollen Aufgaben.
Ja, und all dies kann auch scheitern. Es scheitert auch bei den Philosoph:innen selbst immer wieder. Aber der philosophische Wille, besser verstehen zu können und zwar über bereits abgesteckte Grenzen hinaus und auch darum das Gespräch im sokratischen Geist mit allen in Gang zu halten, ist gesellschaftlich unverzichtbar. Es ermöglicht Begegnung, Verstehen und Verbesserung.
Ist Philosophie eine Wissenschaft?
Philosophie ist Klärung, Argumentation und Differenzierung und ebenso Vertiefung, Übung und Lebensform. Als universitäres Fach steht sie für die Suche nach Wahrheit im Dienst der Freundschaft zur Weisheit. Treffend leitet sich Philosophie ja bekanntlich vom griechischen Philo-„sophía“ her und nicht etwa von Philo-„technía“ oder Philo-„logía“. Aus dem Zusammenspiel von Philosophie als Wissenschaft und als Hinwendung zur Weisheit erwachsen konstruktive Spannungen. Die Bedeutungen von Weisheit sind dabei immer wieder neu für die philosophische Forschung und Lehre zurückzugewinnen und zu interpretieren – im Wissen darum, dass Bildung Menschen und Zusammenhänge verändert und prägt.
Warum haben Sie Philosophie studiert?
Mich haben vermeintliche Autoritäten stets zu Widerspruch herausgefordert. Die Philosophie ist das Fach, in dem das Fragen ungemütlich werden darf und die Oberfläche niemandem genügt. Simone de Beauvoir schreibt im Roman „Die Unzertrennlichen“ über ihre Freundin: „Ich begriff dunkel, dass meine Freundin Andrée gestorben war, weil all dieses Weiß sie erstickt hatte.“ Philosophie ist eine Disziplin, in der es nicht nur möglich, sondern gefordert ist, aus dem geschützten Raum in einen freien zu treten und zugleich Hebamme, Zitterrochen und Stechfliege zu sein, wie es Hannah Arendt in „Vom Leben des Geistes“ beschreibt.
Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?
Mich prägten bereits früh die Erfahrungen der Wirkung von Sprache. Der lebendige und geduldige Austausch im Gespräch vor dem Einschlafen war für mich als Kind unentbehrlich. Ich verstehe gut, was Gertrud Kolmar meinen könnte, wenn sie in „Susanna“ schreibt: „Es gibt Worte, die kann man in die Hand nehmen.“ Faszination für und Vertrauen in die Gestaltungsmöglichkeiten von Sprache begleiten mich bis heute. Die Beschäftigung mit Theater und Dichtung und der Beziehung zwischen Literatur und Philosophie oder auch meine Auseinandersetzung mit den Texten von Denis Diderot oder den Grundlagen der Dekonstruktion bei Jacques Derrida zeugen davon.
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich bin schon seit einiger Zeit an zwei Projekten: Im einen geht es darum, einen transformativen Freiheitsbegriff zu bestimmen, ihn von anderen Freiheitsverständnissen abzugrenzen und als unverzichtbar für Demokratien auszuweisen. Im anderen Projekt differenziere ich die Konzeptionen der Forderung nach Gewaltenteilung bei John Locke und Montesquieu und begründe, warum jene von Montesquieu auf aktuelle politische Herausforderungen wichtige Antworten liefert und damit heute ein kritischer Begriff demokratischer Gewaltenteilung formuliert werden kann und sollte.
Verraten Sie uns noch Ihre „déformation professionnelle“?
Ich gehe davon aus, dass alle Menschen frei werden wollen.