Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Johannes Müller-Salo

Johannes Müller-Salo

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Hannover

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?

Obwohl ich selbst zu Fragen der praktischen Philosophie und nicht zu Problemen der Erkenntnistheorie arbeite: Entscheidend war für mich die Lektüre von Lockes Essay Concerning Human Understanding. Im Sommer 2007, ich hatte gerade in Lübeck mein Abitur geschrieben, bekam ich die Zusage für einen Studienplatz in den Fächern Philosophie und Geschichte in Münster. Geschichte hatte ich seit Jahren studieren wollen. Die Entscheidung für Philosophie fiel recht spontan. Ich habe mich durchs Vorlesungsverzeichnis geklickt: Studierende im ersten Semester sollten neben Logik Erkenntnistheorie belegen. Aus der Liste der angebotenen Veranstaltungen wählte ich das Seminar „Die Erkenntnistheorie John Lockes“. In einer Lübecker Buchhandlung bestellte ich den Essay – natürlich war er nicht vorrätig. In den Wochen vor Semesterbeginn, zwischen Wohnungssuche und Kistenpacken, habe ich das erste Buch des Essays gelesen. Heute glaube ich, dass ich damals nicht sehr viel verstanden habe. Aber bei der Lektüre dieses faszinierenden Textes habe ich gemerkt: Ich hatte mich für das richtige Studienfach entschieden.

Ist es für Ihr Denken wichtig, verschiedene Sprachen zu sprechen?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass es auf die gern geführte Debatte, ob wir auf Deutsch oder auf Englisch philosophieren sollten, nur eine plausible Antwort gibt: Sowohl als auch! Mehrsprachigkeit scheint mir gerade für diejenigen philosophischen Traditionen geradezu zwingend geboten zu sein, die zu Recht die Bedeutung von Sprache für unseren Zugang zur Welt hervorheben.

Welches Werk zitieren Sie am häufigsten?

Das ist vermutlich Eine Theorie der Gerechtigkeit von Rawls. Dabei halte ich seine Position in vielen Hinsichten für problematisch. Doch die Größe einer Philosophie zeigt sich meiner Erfahrung nach vor allem daran, in welchem Maße sie einen zum eigenen Denken anregt, zum Widerspruch herausfordert.

Gibt es philosophischen Fortschritt? Wenn ja, was ist ein gutes Beispiel dafür?

Ich glaube, Fortschritt gibt es in der Philosophie vor allem mit Blick auf die methodische Genauigkeit, mit der wir Fragen stellen und unsere Theorien ausarbeiten können. Der gerade genannte Rawls ist dafür ein hervorragendes Beispiel: Wer seine Vertragstheorie mit den frühneuzeitlichen Vertragstheorien vergleicht, wird von Fortschritt sprechen müssen, was die Präzision der Darstellung betrifft, den Blick für das relevante Detail.

Welcher Philosoph sollte mehr gelesen werden?

Meine Stimme bekommt der US-amerikanische politische Philosoph Robert Dahl. Sein Hauptwerk Democracy and Its Critics (1989) ist eine glühende Verteidigung der Demokratie, verstanden als Herrschaft der Mehrheit, wie sie sonst in der politischen Philosophie nur selten zu finden ist. Viele politische Philosophien zeichnen ein sehr negatives Bild demokratischer Mehrheitsherrschaft. Sie reduzieren die Mehrheit auf ihr natürlich vorhandenes Potential, Verfassungen schleifen und Grundrechte verletzen zu können. Mir geht dabei ein Gedanke verloren, den Dahl überzeugend entwickelt: Eine gerechte politische Ordnung wird nur dort Bestand haben können, wo faktische Mehrheiten hinter ihr stehen – und im Ernstfall bereit sind, sie aktiv zu verteidigen.

Was können wir aus der Philosophiegeschichte lernen?

Das erste, was mir dazu in den Sinn kommt, ist der Satz, den ein Professor uns Studierenden im Grundstudium mit auf den Weg gegeben hat: „Lesen schützt vor Neuentdeckung!“ Wer in der Philosophiegeschichte stöbert, wird fast immer feststellen: Das Problem, das mich beschäftigt, hat schon anderen zu schaffen gemacht. Ansonsten: Was haben wir doch für ein Glück, dass wir in unserem Fach jahrhunderte-, ja jahrtausendealte Texte als Gesprächspartnerinnen ernst nehmen und mit ihnen an Fragen der Gegenwart arbeiten können.

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