Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Véronique Zanetti

Véronique Zanetti

Professorin für Politische Philosophie an der Universität Bielefeld

Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?

Nach Jahren im Nonnen-geführten Internat im damals streng katholischen Kanton Wallis (CH) kam mir die Philosophie als ein Befreiungsschlag vor. Zum ersten Mal wurden wir aufgefordert, selbst zu denken. Philosophie gehörte, wie Französisch (meine Muttersprache) und Mathematik, zu den Hauptfächern mit fünf Stunden Unterricht pro Woche. Wir hatten das Glück, einen hoch motivierten Lehrer zu haben, der gerade seine Promotion abgeschlossen hatte.

Was haben Sie denn dort gelesen?

Ganze Dialoge von Platon, lange Auszüge von Descartes, Hobbes, Kant und anderen Klassikern der Philosophie. Meine bisherigen Gewissheiten begannen zu wanken, und gleichzeitig öffnete sich eine neue Welt: Damit verband sich ein Gefühl der Euphorie, das leider im Studium später nachgelassen hat.

Wozu arbeiten Sie gerade?

Zur Philosophie von Krieg und Frieden. Die Tradition des gerechten Kriegs hat sich fast ausschließlich auf Fragen des jus ad bellum und des jus in bello konzentriert. Die verschiedenen politischen, rechtlichen und moralischen Herausforderungen, die mit dem Übergang vom Krieg zum Frieden oder mit den Verantwortlichkeiten nach einem gewalttätigen Konflikt einhergehen, sind vergleichsweise unterbeleuchtet geblieben. Daran arbeite ich aktuell.

Ihr voriges Buch handelte vom Kompromiss.

Ja, und in gewisser Weise ergänzt die Frage nach dem jus post bellum meine Überlegungen zum Kompromiss. Denn um Frieden herbeizuführen, müssen viele Kompromisse auf jeder Seite gemacht werden. Es gilt dann zu untersuchen, welche vertretbar sind, welche nicht und warum.

Was ist Ihr Lieblingszitat?

Voltaire wird das Bonmot zugeschrieben: „La politique est le moyen pour des hommes sans principes de diriger des hommes sans mémoire“ (Politik ist das Mittel für Menschen ohne Prinzipien, Menschen ohne Gedächtnis zu führen). Angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten in den europäischen Ländern und der Trumpisten dieser Welt ist dieses Wort von trauriger Aktualität. Ich bin immer wieder verblüfft und empört, wie wenig wir aus der Geschichte lernen.

A propos: Was können wir denn aus der Geschichte der Philosophie lernen?

Die Philosophiegeschichte ist ein Fundus, der eben das Gedächtnis der Philosophen bildet. Er erlaubt es ihnen, sich über die Veränderungen der Zeit und der Moden hinweg über langlebige Grundannahmen zu verständigen. Gewiss soll die Philosophie zum Selbstdenken animieren. Aber viel vermeintlich Selbstgedachtes erweist sich im Licht der Geschichte als wenig originell. Die Behauptung, dass ein Gedanke oder ein Argument neu seien, setzt voraus, dass man sich ernsthaft mit dem vertraut gemacht hat, was Philosophen und Philosophinnen vor uns überlegt haben. Dasselbe gilt für die Beantwortung der Frage, ob es so etwas wie Fortschritt in der Moral oder in der gesellschaftlich-politischen Entwicklung der Menschheit gibt.

Bevor man aus der Geschichte lernen kann, muss man sie erst einmal kennen.

Genau. Und es ist auch nicht alles, was die Philosophiegeschichte an Schätzen birgt, „Geschichte“. Viele bedeutende Einsichten sind zu ihrer Zeit nicht zur Kenntnis genommen worden. Oder sie zeigen sich heute im Lichte von Kontexten, die ihnen einen unerwartet neuen Sinn verleihen. Wer nur das jeweils aktuelle Denken gelten lässt, muss sich von Schopenhauer daran erinnern lassen, dass das Neue selten das Gute ist, weil das Gute nicht lange neu bleibt.

Würden Sie Ihren Kindern dazu raten, Philosophie zu studieren?

Unbedingt, aber eher als eine private Leidenschaft. Eine der Grundhaltungen der Philosophie ist die intellektuelle Neugier, die Fähigkeit und Bereitschaft, sich darüber zu wundern, dass so wenig von dem, was man zu wissen glaubt, selbstverständlich ist. Wenn sie von einem kritischen Scharfsinn begleitet ist und sich mit den Grundlagen triftiger Argumentation vertraut gemacht hat, ist sie ein Türöffner für alle anderen Disziplinen und obendrein für eine erfülltes intellektuelles Leben mit bereichernden Begegnungen.

Worüber würden Sie gern vom bösen Dämon getäuscht werden?

Er soll mich gern hoffen lassen, dass die Liebe und Fürsorge in dieser Welt über den Egoismus und die Indifferenz siegen werden. Er soll mich glauben machen, was der savoyrardische Vikar fordert: „Handle gut, und du wirst glücklich sein.“

Wäre Philosophie in einer idealen Welt überflüssig?

Auch in einer idealen Welt würden die Philosophen untereinander streiten, ob die Welt, in der sie leben, ideal ist . . .

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