Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Norbert Paulo

Norbert Paulo

Gastprofessor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin und Leiter eines Forschungsprojekts an der Universität der Bundeswehr in München

Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?

Zu Beginn meines Jurastudiums in Hamburg hatte ich das Glück, Strafrecht bei Reinhard Merkel zu hören. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass diese Vorlesung eigentlich eine über die philosophischen Grundlagen des Rechts am Beispiel des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs war. Die Themen und die Ernsthaftigkeit, mit der Professor Merkel sie diskutierte, faszinierten mich. Irgendwann im Laufe des Semesters, als ich ihn mal wieder mit zu vielen Fragen nervte, fragte er mich, warum ich eigentlich nicht Philosophie studiere. Dieser Gedanke war mir vorher gar nicht gekommen. Erst in diesem Moment ist mir klar geworden, dass es philosophische Fragen sind, die mich in allen möglichen Bereichen interessieren. Ich habe dann Jura und Philosophie studiert.

Was ist Ihre erste Erinnerung an einen philosophischen Gedanken?

Ich weiß es nicht mehr. Aber meine Tochter hat mich einmal gefragt, wo sie war, bevor sie auf die Welt kam. Ich glaube, jedes Kind stellt solche philosophischen Fragen. Ich hatte übrigens keine gute Antwort parat.

Woran arbeiten Sie gerade?

Gegenwärtig befasse ich mich mit der Ethik selbstfahrender Autos. Konkret untersuche ich, ob empirische Informationen über die Präferenzen der Betroffenen für eine moralische Programmierung selbstfahrender Autos relevant sind (trotz des Sein-Sollen-Problems), und wenn ja, welche Anforderungen diese Informationen erfüllen müssen. Hierzu leite ich mit zwei Kollegen ein interdisziplinäres Forschungsprojekt in München.

Sie arbeiten auch über Gedankenexperimente, richtig?

Ja, über Gedankenexperimente in der Praktischen Philosophie. Zwar gibt es Gedankenexperimente in allen Teilbereichen der Philosophie (und in allen anderen Wissenschaften), aber die bisherigen Versuche, Theorien darüber aufzustellen, was Gedankenexperimente eigentlich sind und wie sie funktionieren, orientieren sich fast ausschließlich an ihrer Nutzung in der Theoretischen Philosophie und in den Naturwissenschaften. Ich denke, dass Gedankenexperimente in der Praktischen Philosophie andere Funktionen haben und versuche, eine Theorie zu entwickeln, die ihrer Nutzung dort gerecht wird. Hierfür hat mir die DFG kürzlich die Heisenberg-Förderung zugesprochen.

Was außerhalb der Philosophie hat Sie am meisten geprägt?

Meine Eltern waren etwa 30 Jahre alt, als die Mauer fiel. Erst als ich selbst in diesem Alter war, wurde mir klar, was es bedeutet, wenn sich das eigene Leben durch Umstände, auf die man keinen Einfluss hat, auf fast allen Ebenen verändert; wenn sich nicht „nur“ das politische System, die Währung und das Angebot im Supermarkt ändern, sondern auch viele soziale Praktiken, gesellschaftliche Hierarchien, soziale Erwartungen und andere vermeintliche Selbstverständlichkeiten. Ich empfinde Demut angesichts der enormen Aufgabe, die die Bürger:innen der ehemaligen DDR erbringen mussten. Sie mussten neben allen äußeren Veränderungen auch ihre mentale Infrastruktur neu aufbauen. Diese Einsicht prägt seither meinen Blick auf alle Menschen, nicht zuletzt auf diejenigen, die ihre Heimat aufgeben und fliehen müssen.

Wenn Sie ein zweites Leben hätten, in dem es keine Philosophie gäbe, was würden Sie damit anfangen?

Die Frage scheint mir wie Thomas Nagels Gedankenexperiment „What is it like to be a bat?“ auf etwas Unmögliches zu verweisen. Jedenfalls kann ich mir eine Welt ohne philosophische Fragen nicht vorstellen.

Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden?

Auf jeden Fall Adam Smith. Viele kennen David Humes Moralphilosophie. Smith folgt seinem Freund Hume zwar in einigen Grundannahmen, entwickelt dann aber viel umfassender und systematischer eine auf Empathie basierende Ethik. Außerdem ist er viel besser zu lesen als Hume.

Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach besonders an, wenn man für die Öffentlichkeit schreibt?

Meine Erfahrung als Mitbegründer und -betreiber eines Philosophie-Blogs (praefaktisch.de) ist, dass man sich sehr genau überlegen muss, wer die Zielgruppe ist. Schließlich muss man den gleichen Inhalt für verschiedene Zielgruppen unterschiedlich aufbereiten. Und manchmal stellt man fest, dass so einige Probleme, die uns in der akademischen Philosophie beschäftigen, für ein breiteres Publikum uninteressant sind. Das Gegenteil ist seltener der Fall: Die meisten Themen, die für eine breitere Öffentlichkeit interessant sind, sind es auch wert, in der akademischen Philosophie behandelt zu werden.

Ist die Philosophie eine Wissenschaft?

In manchen Bereichen mehr als in anderen. Da dies aber auch in anderen Fächern der Fall ist, scheint mir das kein grundsätzliches Problem zu sein. Dennoch würde ich mir wünschen, dass methodologische Fragen in der Philosophie mehr Beachtung fänden.

Was ist Ihre Definition von Philosophie?

Glücklicherweise habe ich gelernt, nicht nach einer Definition von Philosophie zu suchen.

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