Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Andreas Urs Sommer

Andreas Urs Sommer

Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Kulturphilosophie an der Universität Freiburg

Woran arbeiten Sie gerade?

An einem Buch über den Krieg und die Demokratie. Das jüngst erschienene (Eine Demokratie für das 21. Jahrhundert, Herder 2022) plädiert für eine direkt-partizipatorische Demokratie, weil wir alle im Prozess der Modernisierung einen solchen Grad der Mündigkeit und der Verantwortungsfähigkeit erreicht haben, dass wir grundsätzliche politische Sachentscheidungen selbst und gemeinsam treffen sollten. Die vormoderne Idee der politischen Repräsentation muss unseren Gegenwartsbedürfnissen angepasst werden. Im neu entstehenden Buch argumentiere ich, dass gerade der Krieg uns herausfordert, unser politisches Gefüge in diesem Sinne umzugestalten.

Was stört Sie an der akademischen Philosophie?

Dass ihre Vertreter und Vertreterinnen gelegentlich der Auffassung sind, diese Form der Philosophie sei die einzig echte und wahrhaft berechtigte. Dieser Dünkel wird der Vielfalt dessen, was Philosophie sein kann, nicht gerecht.

Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden?

Die Denkvergangenheit bietet ein gewaltiges Reservoir an Autorinnen und Autoren, die immer wieder neu entdeckt zu werden verdienen. Beispielsweise habe ich nie verstanden, warum jemand wie Justus Lipsius (1547-1606) – als „Neustoiker“ abgebucht und weggeschlossen – aufgehört hat, als zentrale Gestalt des frühneuzeitlichen Denkens wahrgenommen und gelesen zu werden. Oder warum wir nicht mehr Pierre Bayle (1647-1706) oder Émilie du Châtelet (1706-1749) studieren.

Was können wir aus der Philosophiegeschichte lernen?

Aus der Philosophiegeschichte können wir lernen, dass man philosophische Probleme nicht nur anders angehen kann als wir es gegenwärtig zu tun pflegen, sondern auch, dass das, was für ein philosophisches Problem gehalten wird, historisch höchst variabel ist. Der Blick in die Geschichte des Denkens ist eine Schule der Demut – nicht, weil die Vorangegangenen es besser gewusst hätten, sondern weil sie ihre Gründe hatten, anders zu sein und anders zu denken als wir. Die Philosophiegeschichte erzieht uns dazu, unsere Standpunkte zu relativieren und zu revidieren.

Über welche Frage sollte nicht die Mehrheit entscheiden?

Über die Frage, ob die Mehrheit entscheiden sollte.

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit?

Weil Philosophie alle angeht. Entsprechend sind Philosophinnen und Philosophen gut beraten, eine große Bandbreite verschiedener Sprech- und Schreibweisen zu entwickeln, um ganz unterschiedliche Menschen anzusprechen. Im Übrigen sind gerade Nicht-Profiphilosophen häufig die Gesprächspartner, die mich am meisten inspirieren.

Ist die Philosophie eine Wissenschaft?

Unter anderem, beispielsweise als Logik oder als Philosophiehistorie. Philosophie ist, in ihrer Wildheit, in ihrer Unberechenbarkeit zugleich aber auch Nicht-Wissenschaft. Der Zwittercharakter der Philosophie macht gerade ihren Reiz aus – und ihr Potential, übrigens auch an Universitäten.

Welche philosophische Überzeugung haben Sie aufgegeben?

Philosophie ist nicht der Ort für Überzeugungen, so dass es nichts aufzugeben gab. Wer Überzeugungen braucht, sollte in die Kirche gehen.

Wäre Philosophie in einer idealen Welt überflüssig?

Eine Welt, die die Philosophie überflüssig macht, wäre selbst überflüssig.

Wie stehen Sie zu philosophischen Kalendersprüchen?

Mitunter finde ich sie schlagend – etwa gestern bei einer Sitzung in der hiesigen Katholisch-Theologischen Fakultät, wo über dem Kopf des Sitzungsleiters an der Pinnwand auf einer Postkarte zu lesen war: „Keiner hat das Recht zu gehorchen. / Hannah Arendt“. Gut, wenn unsere Sätze kalenderspruchtauglich werden.

Welchen Philosophen hätten Sie gerne privat gekannt und warum?

Pyrrhon von Elis (362-275 v. Chr.), weil mich wundernimmt, wie ein konsequenter Skeptiker sein entscheidungsabstinentes Leben fristet und dabei glückselig ist.

Welchen Gegenstand, der nicht dem physischen Überleben dient, würden Sie mit auf die Robinsoninsel nehmen?

Einen Stift und reichlich Papier.

Könnten Sie jemanden küssen, der Philosophen für Schwätzer hält?

Ich tue es täglich.

Welche Musik soll auf Ihrer Beerdigung gespielt werden?

Mozarts Maurerische Trauermusik wäre für mich als Nicht-Freimaurer ebenso schön wie Mozarts Requiem für mich als Nicht-Gläubigen. Aber da ich es ja ohnehin nicht mehr mitbekommen werde, belassen wir es vielleicht bei Doris Days Que Sera, Sera, einem sehr philosophischen Lied übrigens, wie dem Lexikon der imaginären philosophischen Werke zu entnehmen ist.

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