Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Dina Emundts

Dina Emundts

Professorin für Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin

Woran arbeiten Sie gerade?

Mein im Moment größtes Projekt betrifft das Thema Zeit. Ich interessiere mich hier für verschiedene Fragen, zum Beispiel: Wann und inwiefern ist Idealismus mit Blick auf Zeit problematisch? Inwiefern sind Phänomene unserer Erlebniswelt (Verzeihen, Versprechen, Wahrnehmen usw.) zeitlich strukturiert und was heißt das? Ich gehe davon aus, dass die Zeitkonzeptionen von Hegel, Kant, Schelling, Heidegger, Husserl und anderen durch solche Fragen verständlich werden.

Was ist Ihr Lieblingszitat?

Meine Lieblingszitate wechseln immer – je nachdem, woran ich gerade arbeite. Gerade arbeite ich unter anderem zur Frage, was „Verzeihen“ bedeutet. Vor ein paar Tagen habe ich mal wieder Prousts Die Suche nach der verlorenen Zeit“ als Podcast beim Radiosender RBB gehört. Seitdem mag ich besonders den Satz aus einem Brief des Dieners: „Kannst du nicht verzeihen, so lass Vergessen walten“ – in meinen Augen schwingt da bei allem Witz und Ironie auf gelungene Weise ein Set von Fragen mit, dem es nachzugehen lohnt: Ist etwas zu vergessen manchmal leichter als es zu verzeihen? Kann man wirklich jemanden bitten, etwas zu vergessen? Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Verzeihen und Vergessen? 

Was ist Ihre déformation professionnelle?

Ich habe die im Gespräch manchmal unangenehme Angewohnheit, kaum eine Behauptung ungefragt zu akzeptieren; ich bin immer auf der Suche nach Problemen und will manchmal noch mal Sachen infrage stellen, wenn die anderen gerade froh über ein schönes Ergebnis sind. Außerdem fällt es mir nicht leicht, Fragen zu beantworten, ohne erstmal die Fragen zu kommentieren – etwas, das ich gerade im Moment auch ein wenig merke . . .

Was würden Sie gern besser können?

Sehr viel von dem, was mir wichtig ist, würde ich gerne besser können, als ich es kann: philosophieren, schreiben, dozieren, aber auch erziehen und Gespräche führen. Schön wäre auch, wenn ich besser in Worten ausdrücken könnte, was ich meine, besser Bilder malen und singen könnte.

Wenn Sie ein zweites Leben hätten, in dem es keine Philosophie gäbe, was würden Sie damit anfangen? 

Ich könnte mir alle möglichen Leben vorstellen, in denen ich Philosophie nicht als Beruf hätte: ich wäre gerne Romanschriftstellerin geworden und würde das ich in einem zweiten Leben ausprobieren. Ein Beruf, bei dem man direkter und emotionaler Einfluss auf die Entwicklung unserer Gesellschaft hat, wäre in meinen Augen auch eine lohnende Aufgabe – meine Schwester und ihr Mann führen ein Kinder- und Jugendtheater mit Projekten an Schulen, das beneide ich manchmal. Allerdings würde ich da jeweils nicht sagen, dass es in diesen Leben keine Philosophie gibt. Ein Leben ganz ohne Philosophie kann ich mir nicht so gut vorstellen. Vielleicht wenn ich versuchte, eine sehr anstrengende, nützliche und gefährliche Arbeit zu machen – wie bei Ärzte ohne Grenzen? Das bewundere ich sehr, aber dafür sehe ich mich nicht geeignet: Ich bin zu zögerlich, zu schmerzempfindlich, zu wenig mutig. Aber, vielleicht müsste das nicht so sein, wenn ich ein zweites Leben hätte; wer weiß, was sich alles in meinem zweiten Leben ändern würde? 

Gibt es philosophischen Fortschritt? Wenn ja, was ist ein gutes Beispiel dafür?

Es gibt zumindest in Teilen der Philosophie Fortschritt, wie beispielsweise in der Logik und vielleicht bei einigen Paradoxien. Außerdem sind die heutigen Texte der Philosophie in vielen Hinsichten gründlicher und genauer als ältere Texte. Ansonsten wäre ich eher vorsichtig. Ich denke, dass die Philosophie immer wieder neue Antworten – gemäß ihrer Zeit – auf sehr grundlegende Fragen suchen muss. Sie ist in meinen Augen primär eine unvermeidliche Selbstverständigung des Menschen über sich und seine Zeit – da kann man dann von Fortschritt nicht wirklich reden. Das bedeutet auch, dass alte Antworten nicht einfach durch neue ersetzt werden können, sondern man sich bei neuen Antworten eher mit älteren auseinandersetzen sollte. 
 

Zu allen PhilPublica-Interviews
Titelbild: Kirsten Meyer
 PhilPublica-Interview  |  25.10.2024
Kirsten Meyer
Titelbild: Andreas Cassee
 PhilPublica-Interview  |  27.09.2024
Andreas Cassee
Titelbild: Véronique Zanetti
 PhilPublica-Interview  |  06.09.2024
Véronique Zanetti
Titelbild: Olaf Müller
 PhilPublica-Interview  |  15.08.2024
Olaf Müller
Titelbild: Silvia Jonas
 PhilPublica-Interview  |  25.07.2024
Silvia Jonas
Titelbild: Jörg Noller
 PhilPublica-Interview  |  04.07.2024
Jörg Noller
Titelbild: Tanja Rechnitzer
 PhilPublica-Interview  |  13.06.2024
Tanja Rechnitzer
Titelbild: Philipp Hübl
 PhilPublica-Interview  |  23.05.2024
Philipp Hübl
Titelbild: Petra Gehring
 PhilPublica-Interview  |  02.05.2024
Petra Gehring
Titelbild: Gottfried Schweiger
 PhilPublica-Interview  |  11.04.2024
Gottfried Schweiger
Titelbild: Kira Meyer
 PhilPublica-Interview  |  21.03.2024
Kira Meyer
Titelbild: Sebastian Ostritsch
 PhilPublica-Interview  |  29.02.2024
Sebastian Ostritsch
Titelbild: Sidonie Kellerer
 PhilPublica-Interview  |  08.02.2024
Sidonie Kellerer
Titelbild: Norbert Paulo
 PhilPublica-Interview  |  11.01.2024
Norbert Paulo
Zu allen PhilPublica-Interviews