Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Lisa Herzog

Lisa Herzog

Professorin für politische Philosophie an der Universität Groningen

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?

An Hegels Rechtsphilosophie habe ich mich regelrecht abgearbeitet, erst im Studium und dann in meiner Dissertation. Die darin aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft beschäftigen mich bis heute. 

Woran arbeiten Sie gerade?

An einem Buchprojekt zu der Frage, wie Demokratien mit unterschiedlichen Wissensformen umgehen können, ohne ihre egalitären Prinzipien zu verletzen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, endlich mit dem Mythos aufzuräumen, dass Märkte alle Formen von Wissen perfekt dezentral verarbeiten könnten. 

Welches philosophische Problem können Menschen nicht lösen? 

Bei so manchen metaphysischen und religionsphilosophischen Fragestellungen bezweifle ich, dass unsere Erkenntnismethoden zu Antworten führen können. Das empfinde ich aber nicht als begrenzend, sondern als befreiend – es gibt Räume jenseits der Philosophie, in denen wir vielleicht glauben und hoffen, aber nicht wissen können. 

Was stört Sie an der akademischen Philosophie? 

Dass es eine ganze Reihe von Problemen, z.B. bei der Publikationskultur, dem nach wie vor vorhandenen Sexismus, oder dem Umgang mit dem sogenannten akademischen „Nachwuchs“ gibt, die seit Langem bekannt sind und trotzdem zu wenig angegangen werden. Gerade Philosoph*innen sollten doch zur Selbstreflexion fähig sein – und auch willens, Einsichten dann umzusetzen! 

Welcher Philosoph sollte mehr gelesen werden?

Alle jenseits des Mainstreams – Texte von nicht-männlichen Autor*innen, aus nicht-westlichen Ländern, oder von Theoretiker*innen, die nicht als zum „Kanon“ gehörig gelten. Ich bin begeistert davon, wie viel sich da gerade tut und welche spannenden Autor*innen entdeckt oder wiederentdeckt werden. 

Was spricht gegen Philosophenkönige? 

Dass es die Art von Erkenntnis, die sie bräuchten, nicht geben kann – und selbst, wenn wir einzelne Elemente davon zu erkennen glauben, wissen wir nicht im vornhinein, welche Wissensformen ein Gemeinwesen braucht, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Je offener und partizipativer die Erkenntnisprozesse sind, auf die sich die Politik stützt, umso besser. Die Herausforderung ist allerdings, dass wir an bestimmten Stellen eben doch auf Expert*innen hören sollten, sei es beim Klimawandel oder bei der Corona-Bekämpfung. Das entscheidende Kriterium muss sein, ob nach einer klaren, überprüften Methode Erkenntnis generiert wurde – ein bisschen googeln reicht nicht. 

Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben? 

Dass man eine Letztbegründung für Moral finden könnte. Ich glaube aber auch nicht mehr, dass man dies müsste. Es gibt genügend andere Begründungen dafür, dass bestimmte Verhaltensformen oder Ergebnisse mehr oder weniger moralisch sind. Die spannende Frage ist doch: wie können wir unser Leben und unsere Gesellschaft so gestalten, dass wir den moralischen Idealen etwas näher kommen? 

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit? 

Ich beschäftige mich mit Fragen, die aus dem praktischen und politischen Leben kommen und sehe es als Teil meines Berufs, darüber auch in einen Dialog mit der breiteren Öffentlichkeit zu treten. Und oft wird man reichlich belohnt, weil man zum Beispiel Gesprächspartner*innen findet, die einem Einsichten aus der Praxis bieten, die man in der akademischen Literatur nie gefunden hätte. 
 

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