Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Bernd Ladwig

Bernd Ladwig

Professor für politische Theorie und Philosophie an der Freien Universität Berlin  

Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?

Das war ein Buch mit Biographien deutscher Philosophen. Es hat mich sofort in einen Strudel von Fragen hineingezogen, nach Sinn, Freiheit, Selbstverwirklichung und so weiter. Bis dahin hatte ich als pubertierender Schulversager vor allem zu sagen vermocht, was ich nicht kann und will, zum Beispiel Mathematiker werden, oder Casanova, oder ins Handwerk gehen. Und plötzlich fühlte ich mich mit einer Bestimmtheit zu etwas berufen, die mich sogar die Schule anständig abschließen ließ.

Welches philosophische Thema wird am meisten überschätzt?

Was Kant zu XYZ gesagt hätte (Embryonenschutz, Herztransplantation, selbstfahrende Autos, Umweltflüchtlinge . . . ).

Warum ist Philosophie so kompliziert?

Weil es wahnsinnig schwer ist, die Einstellungen, die unser In-der-Welt sein als solches ausmachen – Empfinden und Wahrnehmen, Denken, Werten, Handeln – auf stimmige Weise explizit zu machen. Dies gilt besonders, wenn man dabei auf konstitutive Spannungen stößt, etwa zwischen Kausalität und Freiheit oder zwischen Faktizität und Normativität. Weil es in der Philosophie um grundlegende Einstellungen geht, hat zudem jede Festlegung auf einem Gebiet Implikationen für alle möglichen anderen Gebiete, die ebenso grundlegend sind. Das kann einen schon entmutigen.

Ist es immer gut, vernünftig zu sein?

Na ja, es ist ein wenig wie beim Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel: Wo immer die Nichtvernunft ankommt, könnte die Vernunft sagen: „Ick bün all hier“. Wenn es gut ist, vernünftig zu sein, ist die Frage eben dadurch beantwortet. Wenn es nicht gut ist, vernünftig zu sein, ist entweder gar nichts gut oder es ist dann gut, nicht vernünftig zu sein. Demnach ist es dann vernünftig, nämlich durch die besten rechtfertigenden Gründe gedeckt, nicht vernünftig zu sein. Mit anderen Worten, aus dem logischen Raum der Gründe kommen wir so nicht heraus. Aber manchmal gibt man sich halt die Kante . . .

Worüber kann selbst der böse Dämon Sie nicht täuschen?

Über meine Zahnschmerzen. 

Soll man glauben, was die Mehrheit glaubt?

Nein, man soll das glauben, wofür die besten Gründe sprechen. Aber das ist leicht gesagt, da jeder auf fast jedem Gebiet ein Laie oder eine Laiin ist. Daher ist es jedenfalls vernünftig, die Mehrheitsmeinung unter denen, die von einer Sache etwas verstehen (z. B. Klimaforscherinnen oder Virologen) sehr ernst zu nehmen, wenn man selbst über keine fundierte Meinung verfügt.

Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden?

Leonard Nelson, von dem ein ganz hervorragender früher Beitrag zur Tierethik stammt. 

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit?

Weil und sofern ich das Gefühl habe, dass ich zu Fragen, die alle etwas angehen, etwas Wichtiges beitragen kann: ein prinzipielles Problem zu erkennen, Behauptungen besser zu begreifen und zu sortieren, vielleicht auch eine richtige Schlussfolgerung argumentativ abzustützen. Politische Philosophen sollten sich nicht nur als intellektuelle Rätsellöser verstehen, sondern sich auch durch ihre Forschungen der demokratischen Debatte verbunden fühlen. 

Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach besonders an, wenn man für die Öffentlichkeit schreibt?

Dass man an die Leserschaft denkt, die man erreichen will und sich nicht in Fachdisputen verzettelt, die außer ein paar Eingeweihten keiner kennt. Im Idealfall sollte man eine Argumentation entfalten, die von möglichst vielen hervorragenden Kolleginnen und Kollegen so oder ähnlich geteilt wird. Und: man sollte auf keinen Fall auf nüchternen Magen die Online-Kommentare durchlesen und sich erst recht nicht zu Gegenpolemiken verleiten lassen. 
 

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