Was ich noch sagen wollte
PhilPublica stellt vor
David Lauer
Was ist Ihre erste Erinnerung an einen philosophischen Gedanken?
Das war die irgendwann in der Kindheit bemerkte Rätselhaftigkeit der Idee eines ersten, voraussetzungslosen Anfangs, einer unverursachten Ursache, eines unbewegten Bewegers – ein Rätsel, das von dem üblichen Kindersachbuch-Geplapper über den Urknall einfach nur unter den Teppich gekehrt wird. Wie alt ich da war, kann ich nicht sagen, aber meine eigenen Kinder haben mich mit der Frage auch schon konfrontiert. (Und von mir haben sie sowas nicht.)
Welches philosophische Problem können Menschen nicht lösen?
Ein Problem, das sich lösen lässt, so dass es dauerhaft aufhört, Problem zu sein, ist wahrscheinlich kein philosophisches Problem gewesen.
Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?
„Das Leben verändern“ – das ist ein großes Wort. Mein Leben ist hauptsächlich geprägt von den Menschen, mit denen ich es teile, und die meisten von denen interessieren sich nur am Rande für Philosophie. Ich bin ihnen von Herzen dankbar dafür. Sie schenken mir die Freiheit, nach der Wittgenstein sich gesehnt hat: mit dem Philosophieren aufzuhören, wann ich will. (Und, ganz ehrlich: Philosoph_innen, die das nicht zu können oder nie zu wollen scheinen, sind mir suspekt.) Dennoch gibt es natürlich Texte, die mich bzw. mein Leben als Philosoph verändert haben. Häufig sind das nicht die großen Klassiker gewesen, sondern zeitgenössische Bücher – Bücher, die mich aus Sackgassen befreit, neu orientiert oder in produktiver Weise desorientiert haben, darunter Richard Rortys Kontingenz, Ironie, Solidarität, Judith Butlers Gender Trouble, Jacques Derridas Gesetzeskraft, Robert Brandoms Expressive Vernunft oder John McDowells Geist und Welt.
Warum ist Philosophie so kompliziert?
Weil das Leben so kompliziert ist. Entgegen einem landläufigen Vorurteil verkompliziert die Philosophie nicht das eigentlich Einfache, sondern entfaltet nur dessen verborgene Kompliziertheit.
Worüber würden Sie gern vom bösen Dämon getäuscht werden?
Über das Mensaessen.
Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden?
Richard Moran und Iris Murdoch.
Was können wir aus der Philosophiegeschichte lernen?
Wie voraussetzungsbeladen, zerbrechlich und letztlich zufällig die philosophischen Begriffe und Grundannahmen sind, mit denen wir uns und unsere Zeit zu begreifen versuchen. Und wie rührend vor diesem Hintergrund die kindliche Selbstzufriedenheit ist, mit der wir uns gelegentlich versichern, wir hätten die Philosophie nun endlich auf den sicheren Pfad einer Wissenschaft gebracht und seien im Vergleich zu den Alten ein ganzes Stück vorangekommen.
Welches Vorurteil gegenüber akademischer Philosophie ärgert Sie am meisten?
Auch wenn ich die überhandnehmende Spezialisierung der akademischen Philosophie selbst sehr kritisch sehe: Mich ärgert, wenn unterstellt wird, in der gegenwärtigen Akademie herrsche das Regiment biederen Sachbearbeitertums und große Geister, wie Heidegger oder Wittgenstein es waren, könnten sich dort nicht mehr entfalten. Als ob nicht Heidegger und Wittgenstein selbst die epochalen Ausnahmen in einem Heer fleißiger professoraler Arbeitsbienen gewesen wären, an die sich kein Mensch mehr erinnert. Als ob wir heute beurteilen könnten, welche jetzt noch völlig unbeachtete Zeitgenossin in hundert Jahren als philosophische Jahrhundertgestalt entdeckt worden sein wird. Mich ärgert allerdings auch, wenn die Universitätsphilosophie den Spieß umdreht und so tut, als verkörpere sie die einzig legitime Gestalt des Philosophierens (dabei Adornos geniales Bonmot bestätigend, der Grundsatz des deutschen Ordinarius sei „sum, ergo cogito“). Wir sollten uns demütig daran erinnern, wie oft in der Geschichte des Fachs die Philosophie in Wahrheit nur außerhalb der Universitäten weiterentwickelt worden ist.
Ist es immer gut, vernünftig zu sein?
Es ist noch nicht einmal vernünftig, immer vernünftig zu sein.
Ihr Lebensmotto?
When in doubt, go to the library.