Was ich noch sagen wollte

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Titelbild: Rainer Forst

Rainer Forst

Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Was ist Ihre erste Erinnerung an einen philosophischen Gedanken?

Meine Erinnerung kann getrübt sein, denn es will mir scheinen, als sei ich gedanklich noch am selben Ort wie seinerzeit. Es waren die großen Fragen der politischen Philosophie, die mich seit dem Gemeinschaftskundeunterricht in der Oberstufe umtrieben, insbesondere die nach sozialer Gerechtigkeit: Kann es eine Vorstellung der vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft geben, die mehr ist als ein Wunschtraum? Wie sollte die für alle bindend begründet werden? Irgendwie bin ich da hängengeblieben.

Woran arbeiten Sie gerade?

An verschiedenen Dingen – der kantischen Frage, in welchem Sinne die Moral eine verbindliche Konstruktion der praktischen Vernunft ist; der Frage, wie Standards politischer Legitimität begründet werden können, sowie der Frage, ob das Vertrauen ein normatives Grundphänomen ist, das wir noch nicht richtig verstanden haben. 

Welches philosophische Problem können Menschen nicht lösen?

Das Problem, dass man die wirklichen philosophischen Probleme nicht lösen kann wie einen Knoten. Man soll aber versuchen, sie besser zu formulieren als bisher, sodass neue Lösungswege aufscheinen. 

Was stört sie an der akademischen Philosophie?

Die Vergesslichkeit. Wer Philosophie als Wissenschaft betreibt, sollte das auf der Höhe des schon erarbeiteten Wissens tun. Schon klar, dass man nicht alles gelesen haben kann, aber bevor man glaubt, das Rad gerade neu erfunden zu haben, ist es ratsam, zu schauen, was darüber von klugen Menschen früher schon alles herausgefunden wurde. Dabei hilft profunde Kenntnis der Philosophiegeschichte, und zwar nicht aus historischem, sondern systematischem Interesse. Gelegentlich hilft es auch schon, mehr als die letzten zehn Jahre neuerer Zeitschriften zurückzublättern. 

Gibt es philosophischen Fortschritt? Wenn ja, was ist ein gutes Beispiel dafür?

Natürlich gibt es den, was hätte unser Tun sonst für einen Sinn? Nehmen wir Rawls‘ Gerechtigkeitstheorie, die zeigte, dass systematisches Philosophieren in der praktischen Philosophie etwas schaffen kann, das vollkommen neue Perspektiven eröffnet und neue Begriffe schafft. Eine ganze Landschaft von Theorien hätte es ohne diese Innovation nicht gegeben – eine, die an eine Tradition anknüpfte und sie zugleich veränderte. Manche Kantianer wundern sich noch immer darüber, wie man so, wie Rawls es tat, die kantische Moralphilosophie für Zwecke der Bestimmung von Prinzipien der gerechten Gesellschaft nutzen konnte.

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit?

Nicht aus Sendungsbewusstsein oder zur Selbstlegitimation. Sondern als Dialogangebot an Mitbürger*innen, im Modus öffentlicher Vernunft über Grundfragen des Zusammenlebens nachzudenken und Missverständnisse auszuräumen – etwa um zu zeigen, dass Toleranz nichts mit Urteilslosigkeit zu tun hat, dass die Gerechtigkeit mehr erfordert als kompensatorische „Umverteilung“, dass Freiheit nicht Rücksichtslosigkeit bedeutet, dass Demokratie und Gerechtigkeit keine Gegensätze sind, und einiges mehr.

Ist die Philosophie eine Wissenschaft?

Ja, wie oben schon angedeutet. Sie ist die methodisch reflektierte, dialogische Form der Anstrengung, Grundfragen des menschlichen Denkens, Handelns und Lebens klar herauszuarbeiten und rationale Antworten darauf zu sortieren und zu prüfen.

Was ich noch sagen wollte:

„Die Philosophie ist das Allerernsteste, aber so ernst wieder auch nicht“ (Adorno). Oder anders gesagt – die Fähigkeit zur ironischen Selbstdistanzierung ist philosophisch unabdingbar.
 

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