Was ich noch sagen wollte
PhilPublica stellt vor
Rebekka Hufendiek
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich beschäftige mich in meiner Habilitation mit der Erklärung menschlicher Merkmale im Kontext der Evolutionstheorie – speziell mit Theorien zur Evolution der Moral. Diese Theorien interessieren mich, weil sie im Rahmen eines naturalistischen Weltbildes alternativlos sind: Man kann zwar sehr unterschiedliche Theorien darüber vertreten, wann und wie Moral entstanden ist, aber irgendwie muss sie entstanden sein. Allerdings wissen wir wenig über unsere eigene Entstehungsgeschichte und die vielen zeitgenössischen Theorien zur Evolution der Moral sind sehr spekulativ.
Weiß die Philosophie denn mehr darüber?
Natürlich nicht. Ich argumentiere aus wissenschaftstheoretischer Perspektive, dass in Arbeiten zur Moralentstehung häufig Erklärung (in kausal-historischem Sinne) und Verstehen oder Interpretation miteinander vermischt werden. Dort, wo mehr oder weniger idiosynkratische Interpretationen als wissenschaftliche Fakten ausgegeben werden, haben diese Arbeiten auch schnell einen Drall in Richtung Ideologie. Es ärgert mich, wenn speziell diese Arbeiten dann einem breiten Publikum verkauft werden. Das ist ein wichtiger Grund, warum ich die Ergebnisse meiner Arbeit gelegentlich auch einem breiten Publikum vorstelle.
Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?
Ich habe als Teenie Das Kapital von Karl Marx gelesen (also . . . Teile daraus). Mich hat der Gedanke beeindruckt, dass der Tauschwert von Waren etwas Abstraktes ist, was wir selbst geschaffen haben, was nun aber so sehr Teil unserer Umwelt geworden ist, dass er uns normal, natürlich, vielleicht sogar unveränderlich scheint. Mein Blick auf die soziale Welt hat sich dadurch verändert. Seither bin ich auch überzeugt, dass Philosophie absolut grundlegend dafür ist, die Welt besser zu verstehen.
Über welches Thema würden Sie gern einmal schreiben?
Im letzten Jahr habe ich, wie ja viele andere auch, sicherheitspolitische Debatten sehr viel genauer verfolgt als bisher. Im Zuge dessen habe ich festgestellt, dass Sicherheit in der Ethik und der politischen Philosophie nicht in gleicher Weise als grundlegender Begriff behandelt wird wie etwa Freiheit oder Gerechtigkeit. Es gibt kaum Einträge dazu in philosophischen Lexika oder in Einführungen in die politische Philosophie. Man muss schon weit in Spezialdebatten um Privatheit oder Technikfolgenabschätzung vordringen, um Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitsbegriff zu finden. Damit ist aber bereits ein ziemlich verengtes Verständnis der Bedeutung des Begriffs impliziert. Ich würde in näherer Zukunft gern über ein weiteres Verständnis von Sicherheit schreiben.
Was verstehen Sie denn unter Sicherheit?
Sicherheit lässt sich zunächst als die Wahrscheinlichkeit definieren, mit der einem für das Wohlergehen zentrale Güter in Zukunft stabil zur Verfügung stehen. In diesem Sinne scheint die Zugänglichkeit lebenswichtiger Ressourcen für alle Mitglieder der Gesellschaft der beste Garant dafür, langfristig in Gesellschaften Sicherheit herzustellen. Wir denken bei Sicherheit und Sicherheitspolitik aber in der Regel zuerst an den Schutz von Leben und Eigentum vor willkürlicher Gewalt durch andere und nicht so sehr daran, Ressourcen für alle zugänglich zu machen. Darüber hinaus ist das Verständnis davon, was es für unser Wohlergehen stabil braucht, merkwürdig verengt, wenn es im Wesentlichen darum geht, uns vor der Willkür der anderen zu schützen. Wir brauchen ja z. B. auch soziale Sicherheit im Sinne von stabilen sozialen Kontakten.
Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben?
Ich hatte von Beginn meines Studiums an die methodische Intuition, dass grundlegende Fragen etwa nach dem Wesen von Sprache oder Moral historisch beantwortet werden sollten: Wenn ich wissen will, was Sprache ist, muss ich schauen, wie sie entstanden ist. Ich weiss nicht genau, woher diese Intuition stammt, aber ich war oft erstaunt, dass überhaupt jemand nach anderen Erklärungen sucht oder gar historische Erklärungen irrelevant findet. Ich habe mich deshalb im Studium brennend für Sprachursprungstheorien interessiert, die ich mittlerweile ziemlich abstrus finde. Dann habe ich mich evolutionären Erklärungen zugewandt und . . . nun ja . . . da findet man auch viel Abstruses. Ich interessiere mich immer noch dafür, was historische Erklärungen sind und was wir aus ihnen lernen können, aber ich habe die Annahme aufgegeben, dass historische Erklärungen die besten Antworten darauf liefern, was etwas ist.
Welchen Rat hätten Sie gern zu Beginn Ihrer Laufbahn erhalten?
Ich hatte als Schülerin und zu Beginn des Studiums so einen gewissen Geisteswissenschaftler-Dünkel gegenüber den Naturwissenschaften, aber auch gegenüber allen möglichen anderen lebensnahen Kompetenzen (wie etwa soliden Excel-Kenntnissen). In der deutschen Philosophie hat das ja leider Tradition: Heidegger etwa spricht abschätzig vom »rechnenden Denken«, das nicht die gleiche Tiefe erreiche wie richtige Philosophie. An anderer Stelle sagt er zugespitzt: »Die Wissenschaft denkt nicht«. Auch in der Kritischen Theorie findet man vergleichbare abschätzige Bemerkungen etwa gegenüber dem Schubladendenken der instrumentellen Vernunft. Mir hat diese dünkelhafte Haltung im Wesentlichen als Begründung gedient, Minima Moralia zu lesen statt meine Mathe-Hausaufgaben zu machen. Ich wünschte, jemand hätte mich damals überzeugen können, dass so ziemlich jede Kompetenz einem mehr dabei nützt, die Welt zu verändern, als die Fähigkeit, bei jeder Gelegenheit mit Adorno-Zitaten um sich zu werfen. Aber es wäre eine schwierige Aufgabe gewesen.