Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Christian Budnik

Christian Budnik

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich  

Was ist Ihre erste Erinnerung an einen philosophischen Gedanken? 

Als Kind habe ich einmal eine Kakaodose in die Hand genommen, auf der eine Familie am Frühstückstisch zu sehen war, auf dem eine Kakaodose stand, auf der eine Familie am Frühstückstisch zu sehen war . . .  Ich weiß nicht, ob das schon zählt, aber den lustvollen Schwindel, der mich bei diesem Anblick ergriffen hat, habe ich dann manchmal später gespürt, wenn es um philosophische Probleme gegangen ist.

Welcher philosophischer Text hat Ihr Leben verändert?

Nach der Lektüre von Derek Parfits Texten zur Identität von Personen wusste ich, dass etwas in dieser Art mir Freude machen könnte. Auch hat es sich ein wenig wie die Sache mit der Kakaodose angefühlt. Mein Leben hätte es vielleicht verändert, wenn Parfit in der Sache Recht gehabt hätte.

Warum ist Philosophie so schwierig?

Richtig Philosophie zu betreiben, bedeutet nicht, dass man eben mal ein wenig philosophiert. Das wirkt auf einige abschreckend. Dabei ist die Philosophie im Grunde zugänglicher als die meisten anderen Disziplinen. Es gibt Menschen, die kaum Kontakt mit Philosophie hatten und dennoch sehr gut auf systematische Weise über abstrakte Fragen nachdenken können. Man muss ihnen nur die richtigen Fragen stellen oder sie auf die richtigen Texte aufmerksam machen. Für die akademische Philosophie braucht man dann nur viel Geduld und noch mehr Konzentration. Probleme können auftauchen, sobald der Zeitpunkt gekommen ist, eine eigene Position zu vertreten. Dazu bedarf es nämlich einiges an Kreativität, und diese kann inzwischen schon völlig erlahmt sein. Das liegt auch daran, dass philosophische Debatten immer spezialisierter geführt werden und dass man schnell den Eindruck hat, alles Interessante sei schon gesagt. Hier kann es helfen, Leidenschaften jenseits der Philosophie zu haben.

Hilft Expertise in der Ethik, ein besserer Mensch zu werden?

Sie kann jedenfalls ziemlich schaden. Von wie vielen Dingen hätte ich die Finger gelassen, wenn mir nicht augenblicklich eine gute Rechtfertigung für sie eingefallen wäre . . .  Das ist wohl die Krux mit der ethischen Expertise: Sie besteht nicht so sehr in Einsichten darin, dass das eine richtig und das andere falsch ist, auch wenn wir solche Einsichten stets als Ziel vor Augen haben. Das heißt nicht, dass in der Moralphilosophie keine substantiellen Positionen vertreten werden, aber solche Positionen sind im Grunde immer nur hart erkämpfte Zwischenstände. Unsere Expertise besteht eher darin, klare Fragestellungen zu formulieren und die vorgeschlagenen Antworten kritisch zu überprüfen, indem wir Argumenten mit Gegenargumenten begegnen.

Was ist die gesellschaftliche Rolle der Philosophie?

In politischen Debatten wird zunehmend salonfähig, dass man sich nicht um die Konsistenz der eigenen Behauptungen schert oder empirische Tatsachen nach Belieben leugnet. Diese Form der epistemischen Schamlosigkeit ist in einer Demokratie brandgefährlich und macht mir Angst. Manchmal erwische ich mich dann bei dem gleichermaßen naiven wie vermessenen, wohl auch etwas altmodischen Wunsch, die Philosophie möge hier demokratische Erziehungsarbeit leisten, indem sie Bürgerinnen und Bürgern immer wieder in Erinnerung ruft, was es heißt, auf vernünftige Weise einen Interessenkonflikt auszutragen – und warum man nicht ‚einfach so‘ behaupten kann, was einem politisch in den Kram passt.

Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach besonders an, wenn man für die Öffentlichkeit schreibt?

Philosophie muss wie die Axt für das gefrorene Meer in unseren Köpfen sein, um mal ein Kafka-Zitat abzuwandeln. Philosophische Texte sollten ihre Leserinnen und Leser nicht mit gewichtigen Begriffen sedieren oder mit handlichen Thesen für den Alltagsgebrauch versorgen. Ein guter Text ist einer, bei dem man nicht anders kann, als einem Gedanken folgend selber zu denken.
 

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