Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Albert Newen

Albert Newen

Professor für Philosophie des Geistes an der Ruhr-Universität Bochum

Woran in Ihrer beruflichen Laufbahn erinnern Sie sich gern?

Als ich den Ruf auf meine erste Professur an der Universität Tübingen annahm, bot mir Manfred Frank an, gemeinsam ein Kolloquium zum Thema „Selbstbewusstsein“ abzuhalten. Ich war natürlich begeistert und bat nur darum, aufgrund des Einstiegssemesters die Zeit zwischen Montagmittag und Mittwochabend anzusetzen, dann würde ich mich einfügen. Es wurde ein großartiges Seminar, allerdings zu meiner Überraschung montags von 20.00-23.00 Uhr.

Das ist eine eher ungewöhnliche Zeit.

Aus heutiger Sicht ja. Es kamen regelmäßig ca. 30 Studierende. Danach gab es stets so viel Diskussionsbedarf, dass es einen Großteil jede Woche für ein Nachkolloquium von 23.00 Uhr bis 0.30 Uhr in eine Studentenkneipe zog. Die Faszination für das Thema, die lebhaften Diskussionen und das bemerkenswerte Engagement der Mehrheit der Studierenden, die regelmäßig gut vorbereitet waren, habe ich in dieser Form nicht wieder angetroffen. Was für ein Kontrast zur Pandemiezeit: Seminare mit persönlicher Begegnung machen den Unterschied für Lernen und Verstehen, auch wenn diese nicht mehr zu Nachtzeiten anzusetzen sind.

Was außerhalb der Philosophie hat Sie am meisten geprägt?

Meine Frau: von ihr als Chemikerin habe ich den Blick auf die naturwissenschaftliche Arbeitsweise kennengelernt und diese in vielen Facetten fruchtbar auf die Philosophie übertragen. Wir brauchen Promovierende nicht mit der Suche nach einem Thema alleine zu lassen, wir können sie gezielt und rasch in ein Forschungsgebiet einführen. Wir können mit Promovierenden gemeinsam eine Publikation ausarbeiten, um sie so auszubilden, wie man Aufsätze schreibt, und dann ihren Weg gehen lassen. Im Graduiertenkolleg „Situated Cognition“ ist dies eine etablierte und bewährte Praxis.

Ein Graduiertenkolleg bietet aber auch spezielle Voraussetzungen.

Richtig, aber ich nehme wahr, dass viele KollegInnen eine ähnliche Praxis unabhängig etabliert haben. Wir können allgemein einen Wechsel der Promotionskultur feststellen: die Promovierenden werden nicht mehr alleingelassen, sondern zu einem gezielt zu einem Forschungsprojekt hingeführt, gefördert und dann losgelassen.

Was spricht gegen Philosophenkönige?

PhilosophInnen sind idealerweise innovative Denker und gut informiert – über Themenbereiche, zu denen sie arbeiten. Damit können sie bestenfalls gute BeraterInnen sein. Aber in der Kompromissfindung sowie in praktischer und pragmatischer Umsetzung sind sie oftmals unterdurchschnittlich. Das sollten andere übernehmen.

Ist die Philosophie eine Wissenschaft?

Ja. Jedenfalls dann, wenn im Kern das systematische, methodische Argumentieren steht. Lyrisches Schreiben ohne systematische Argumentation ist im besten Fall unterhaltsame, kreative Spekulation. Erst systematisches Argumentieren für eine These im Kontext einer philosophischen Frage eröffnet den Spielraum von philosophischer Theoriebildung. Zu (fast) jeder philosophischen Frage gibt es heute eine relevante andere Wissenschaft, die fundierte Erkenntnisse beizusteuern hat. Die Philosophie ist gehalten, diese mit einzubeziehen und sich von der veralteten Sichtweise einer Königin der Wissenschaften zu verabschieden. Sie ist allerdings ein wichtiges Instrument im Orchester der Wissenschaften.

Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben?

Meine Promotion habe ich im Bereich der Sprachphilosophie verfasst und war eingangs auch davon überzeugt, dass wir über die Strukturen der Sprache auch die Strukturen des Denkens und die Struktur der Welt aufdecken können, wie es z. B. der frühe Wittgenstein radikal vertreten hat.

Was ist denn an dieser Auffassung falsch?

Es bleibt schon eine wichtige Aufgabe, Theorien zu entwickeln, die beschreiben, wie die Kernkompetenz der sprachlichen Kommunikation bei uns Menschen möglich ist. Doch daraus lernen wir (fast) nichts über die Struktur des Denkens und die Struktur der Welt, sondern vielmehr etwas über Kommunikationsmuster und Kulturunterschiede. Die Entwicklung des Sprachverstehens durch die KI (z. B. Chat GPT-4) verändert unser Verständnis gerade radikal. Aber vermutlich bleibt es dabei, dass wir durch die Syntax oder Semantik des Alltagsdiskurses nichts Erhellendes über unsere kognitiven Fähigkeiten des Wahrnehmens, Erinnerns, Lernens oder Empfindens erfassen.

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